Die zukunftsfähige und sichere Gestaltung unserer Lebensmittelversorgung stellt eine wichtige Aufgabe dar, der sich Unternehmen, Wirtschaftsförderungen, kommunale Institutionen und die Gesellschaft im Allgemeinen widmen müssen. In unserer Veranstaltung „Ruhrgebiet, quo vadis? Lebensmittel aus’m Pott“ am 22. September 2021 haben wir genau diese Akteur:innen eingeladen und ihnen die Möglichkeit gegeben mit uns und miteinander über die regionale Wertschöpfung im Ruhrgebiet ins Gespräch zu kommen und sich kennenzulernen.

Eingeleitet wurde die Veranstaltung durch Dr. Stefan Gärtner, vom Institut Arbeit und Technik, der neben der ökonomischen Wertschöpfung der Nahrungsmittelbrache auch soziale Ziele, wie die Schaffung von Arbeitsplätzen für Geringqualifizierte, in den Fokus gerückt hat. Zudem betonte er die zunehmende Nachfrage nach stadtnahen und regional produzierten Lebensmitteln, denen sowohl etablierte Unternehmen wie Landwirt:innen, aber auch Gründer:innen versuchen gerecht zu werden. Neben kleinteiliger Produktion geht es aber auch um die Skalierung der Wertschöpfung und darum, die großen Produzent:innen von Rohstoffen im Ruhrgebiet in diesen Prozess einzubeziehen und die Absatzmärkte im Ruhrgebiet auch für die hier hergestellten Produkte zu nutzen.

Obwohl die Wertschätzung für Nahrungsmittel in NRW geringer ist als in anderen Bundesländern (Ernährungswirtschaftsbericht NRW 2020, S. 64), gibt es derzeit vor allem zwei Entwicklungen, die die Wahrnehmung auf unser Essen beeinflussen, wie Annette Bathen von den Urbanisten im kurzen Input über das Forschungsprojekt UrbaneProduktion.Ruhr und den Zusammenhang zur Lebensmittelwirtschaft erläuterte. Zum einen hat Corona-Pandemie die Ernährungssicherheit und Notwendigkeit einer Unabhängigkeit vom globalen Markt in den Fokus gerückt und zum anderen besteht nun das Wissen und Bewusstsein darüber, dass 20 bis 30 Prozent der für unsere Umwelt schädlichen Emissionen aus dem Nahrungsmittelbereich kommen. Dass das Thema auch bei der Politik angekommen ist, zeigt die „Farm2Fork-Strategie“, auf die sich die EU-Agrarminister:innen sich im Oktober 2020 geeinigt haben und in der sie sich beispielsweise für Ressourcenschonung, Erhaltung der Bodenproduktivität, nachhaltigen Konsum und Vermeidung von Lebensmittelverlusten aussprechen.

Mit welchen Unternehmensformen, Produktionsarten und Konzepten die Nahrungsmittelproduktion etwas zur nachhaltigen Transformation des Sektors beitragen kann, hat Kerstin Meyer – ebenfalls vom Institut Arbeit und Technik – anhand von schon bestehenden Unternehmen und Projekten vorgestellt. So sind Hut & Stil aus Wien ein Best-Practice-Beispiel für lokale Kreislaufwirtschaft und Wertschöpfung bei der Pilzproduktion und auch im Ruhrgebiet hat sich in der Kofabrik in Bochum eine Initiative gefunden, die die urbane Pilzherstellung forciert. Dachfarmen gibt es nicht nur in London und New York, sondern auch in Oberhausen. Die Fabrik von Manner in Wien zeigt eindrücklich, dass eine Stockwerkfabrik in einem urbanen Quartier funktionieren kann und auch gläserne Manufakturen kommen für die transparente und kund:innennahe Herstellung von Lebensmitteln infrage, wie zum Beispiel die Bäckerei Schmidt in Karlsruhe oder die Confiserie Ruth in Bochum. Bei der Vermarktung von lokal hergestellten Lebensmitteln können Unternehmen auf bewährte Wochenmärkte und neu aufkommende Feierabendmärkte zurückgreifen oder sich mit weiteren Produzent:innen zusammentun und Regionalregale und -automaten in Städten platzieren oder ihre Produkte in anderen Geschäften anbieten. Eine Initiative in Neubrandenburg, die solche Ansätze unterstützt, ist das Projekt „Platz ist in der kleinsten Hütte“. In vielen anderen deutschen Regionen gibt es außerdem Regionalsiegel, die regionale hergestellte Produkte als solche kennzeichnen und für Bürger:innen und Besucher:innen Orientierungshilfe bieten, aber auch durch das Marketing das Image der Regionen und Produkte aufwerten.

Für Themen wie lokale Wertschöpfung, umweltverträgliche Produktion, regionale Resilienz, nachhaltigen und bewussten Konsum und innovative Logistikkonzepte, die gerade in einer landschaftlich und demografisch heterogenen Metropolregion wie dem Ruhrgebiet bei der Entwicklung und Verbesserung der lokalen und regionalen Nahrungsmittelproduktion integriert werden müssen, sind solche positiven Beispiele und Vorreiterinnen wichtig. Sie zeigen, dass Unternehmen, die sich diesem Wandel verschrieben haben, erfolgreich sind, schaffen bei den Konsument:innen mehr Bewusstsein für ihre Nahrungsmittel und können politisches Commitment für die Transformation erzeugen.

Welche Chancen und Herausforderungen die Teilnehmer:innen des Vernetzungstreffens bei dieser Entwicklung sehen und wo sie selbst stehen, wurde in der Vorstellungsrunde deutlich. Mit dabei waren u.a. der Lieferdienst Flotte Karotte, die Universität Witten Herdecke, eine Bäckerei aus Essen, Vertretende des Ernährungsrats Essen, die Initiative Slow Food, die regionale Wirtschaftsförderung der Emscher-Lippe-Region, eine Vertreterin der Grünen Hauptstadt Essen und vom Projekt UrbaneProduktion.Ruhr, die Urbanisten, das Institut Arbeit und Technik sowie Sonja Broy von der Wirtschaftsförderung Gelsenkirchen.

Im Laufe des Treffens konnten die Akteur:innen Ideen und Erfahrungen austauschen und Herausforderungen diskutieren. Das wichtigste Erkenntnis des Abends aus unserer Sicht ist, dass im Ruhrgebiet ein umfassendes Netzwerk fehlt, das zu den Themen lokale Wertschöpfung und Nachhaltigkeit in der Lebensmittelproduktion arbeitet. Das führt dazu, dass es parallele Veranstaltungen und kleinere Netzwerke gibt und keine Absprachen getroffen werden. In einem solchen Netzwerk könnte es nicht nur städteübergreifenden Erfahrungsaustausch geben, sondern auch gemeinsame Projekte, wie die Initiierung und Etablierung einer Regionalmarke umgesetzt werden.

Ein weiterer Aspekt, der oft zur Sprache kam, war der Ausbau der Märkte: als Feierabendmärkte oder auch in Form von Markthallen. Und – darin waren sich alle Teilnehmer:innen einig – die Landwirt:innen des Ruhrgebiets müssen als Produzent:innen unserer Nahrungsmittel Teil der Entwicklungen sein und mit ins Boot geholt werden. Jedoch fehlt diesen oft schlichtweg die Zeit sich in Netzwerken zu engagieren.

Text: Annette Bathen, Kerstin Meyer; Foto: Annette Bathen

Quellen & weitere Infos:

Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Ernährungswirtschaftsbericht NRW 2020. Abrufbar unter: https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/Broschueren/EWI-Bericht-gesamt.pdf

Europäische Union. Farm to Fork strategy for a fair, healthy and environmentally-friendly food system. Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/food/document/download/472acca8-7f7b-4171-98b0-ed76720d68d3_en